So hart wie in diesem Bett habe ich lange nicht geschlafen. In Einrichtung oder gar Komfort hat das Hotel in 20 Jahren nichts investiert. Die Dekoration der Zimmer und Flure, die Installationen in Dusche und WC sind in einem Zeitloch hängen geblieben. Selbst in die Nase weht noch der Geruch von 1998. Ein besonders charmanter Charakterzug, den man in Berlin nicht mehr oft vorfindet.
Fahles Licht scheint in das karg möblierte Zimmer, als mich heimkehrende Gäste, die laut palavernd den Flur entlang poltern, aufwecken. Ein Blick hinab in den Hof und hinauf zum Himmel: es regnet nicht. Mechanisch streife ich mir die Funktionsklamotten über, Schuhe an und die Laufuhr natürlich, das wichtigste Utensil.
Locker trabe ich ein paar Treppen hinab, durch eine schwere Eisentür und lange Flure nach draußen. Zwischen den Häusern hängt die Luft grau und feucht.
Entlang der Schlesischen Straße zieht sich eine endlose Autoschlange, unausgeschlafen wirkende Menschen hasten mir auf dem Trottoir entgegen. Mein Kopf findet es kalt, aber mit Mütze ist es zu warm.
Ich kann mich noch nicht entscheiden, wo ich lang laufen möchte. Zuerst überquere ich die Oberbaumbrücke, hüpfe an der Kreuzung zur Stralauer Allee nach links und rechts, bis die Ampel endlich Grün zeigt. Kaum auf der anderen Straßenseite fällt mir ein, dass ich ja an der Spree, am ehemaligen Osthafen entlang laufen wollte. Also zurück über die heftig befahrene Kreuzung und eine Lücke suchen in den Zäunen, die das Ufer säumen. Warum ist da alles so abgesperrt? Ist das nicht öffentlicher Grund?
Kaum habe ich die Spree erreicht, verstellt mir auch schon der nächste Zaun den Weg: ein privates Weihnachtsmarktgelände reicht hier bis ans Ufer. Mir bleibt nichts übrig als zur Straße zurück abzubiegen. Was für eine abweisende Gegend! Das hatte ich mir anders vorgestellt.
Quer über die Vorplätze der phantasiebefreiten Betonklötze von Medienfirmen, Hotels oder einer Limonadenfirma laufe ich weiter nach Osten, bis es endlich wieder einen Abzweig zum Ufer gibt. Dort endlich freier Blick übers Wasser.
Um auf die Elsenbrücke zu gelangen, muss ich wieder eine Kreuzung überqueren, die wegen Baustelle für Menschen zu Fuß zum Hindernislauf wird. Überall brüllender Autoverkehr. Auf der Brücke. Und hinter der Brücke. Von Kreuzung zu Kreuzung.
Neben mir die Blechlawine, die Abgaswolke, der Lärm. Falsche Zeit, falscher Ort.
Der Kilometer bis zum Damm der ehemaligen Görlitzer Bahn dehnt die physikalischen Gesetze deutlich über Gebühr. Mir ist nach Husten zumute. Und dann auf dem Damm: plötzlich Ruhe. Eine Oase der Entspannung. Auch danach am Kanal fühlt es sich richtig gut an. Der Untergrund ist weich, ein paar Enten schnattern, Hunde pinkeln in Büsche, Krähen bedienen sich an überquellenden Mülleimern. Die Dealer im Görlitzer Park stehen in Grüppchen beieinander. Ich frage mich, ob sie schon wieder oder immer noch dort stehen. Einer tritt hastig in die Pedale eines viel zu kleinen Fahrrads, um seinen Kollegen etwas Leckeres vom Bäcker zu bringen. Ich begegne einem anderen Jogger, der kurz aufblickt.
Ich mag es, wie hier die Lebensformen aufeinander treffen, fühle mich angespannt geborgen, wohlig gegruselt und könnte die Wege unter den mickrigen Bäumen immer hin und her laufen. Mehr aber noch zieht es mich in die Straßen des Wrangel-Kiez, der gerade morgens von seinen Bewohnern bevölkert ist und nicht von Touristen. Als einer, der seit Jahrzehnten immer wieder dorthin reist, fühle ich mich verbunden mit diesem Viertel und seinen Menschen: Eintauchen in diese bekannte und freundliche Welt, als sei sie meine.